Diversity und Vielfalt ein Auslaufmodell?

Es ist ein Ansatz, der viel Hoffnung verspricht: Diversity-Programme sollen die Arbeitswelt inklusiver, gerechter und kreativer machen. Doch in Zeiten politischer Polarisierung und wirtschaftlicher Unsicherheiten scheint dieses Ziel ins Wanken zu geraten. Mit der erneuten Wahl sowie dem Amtsantritt von Donald Trump, dem Erstarken rechtsextremer sowie rechtspopulistischer Parteien und dem Rückzug zahlreicher Unternehmen aus entsprechenden Programmen stellt sich eine Frage: Ist Diversity mittlerweile auch in Deutschland ein Auslaufmodell?

Politische Wellen und gesellschaftlicher Rückschritt

Blicken wir hierfür zunächst in das Land, in dem Diversität aufgrund seiner Bevölkerung und historischer Entwicklungen, ganz oben auf der Tagesordnung steht: Die USA. Der Sieg Donald Trumps als Präsident der Vereinigten Staaten und seiner Aussagen hinsichtlich non-binären, trans- sowie intergeschlechtlichen Personen verheißt nichts Gutes. Bereits am ersten Tag seiner zweiten Präsidentschaft ordnete er per „Executive Order“ an, Diversity-Schulungen in Regierungsbehörden einzustellen, da diese „anti-amerikanische“ und „spaltende“ Botschaften vermitteln würden. Die Auswirkungen solcher Entscheidungen gehen weit über die Regierungsbehörden hinaus: Sie senden ein Signal an die Privatwirtschaft, dass Investitionen in Diversität und Inklusion keine Priorität haben sollten (Siehe: Microsoft entlässt ein ganzes Team, weil Diversität und Inklusion „nicht mehr geschäftsrelevant“ sind oder Druck aus sozialen Medien: Harley-Davidson beendet Diversity-Initiativen). In einem Land, das bereits tief gespalten ist, könnte dies bedeuten, dass Themen wie Antidiskriminierung und Gleichstellung weiter in den Hintergrund gedrängt werden oder Ereignisse für eine DE&I-feindliche Politik instrumentalisiert werden (Siehe: Trump macht Diversity-Programm für Flugzeugabsturz in Washington verantwortlich oder Falsche Behauptungen und Verschwörungsmythen zu den Bränden in Los Angeles).

Die europäische Perspektive

Während die USA unter der erneuten Trump-Regierung einen Rückschritt in Diversity-Fragen erleben, ist die Debatte in Europa und speziell in Deutschland von anderen Dynamiken geprägt. Die bevorstehenden Bundestagswahlen im Februar 2025 könnten entscheidend dafür sein, ob Diversity weiterhin auf der politischen Agenda bleibt.

In Deutschland haben sich Unternehmen, wie SAP und Allianz klar zur Diversität bekannt. Programme wie das „Charta der Vielfalt„-Netzwerk, das mittlerweile über 4.500 Unternehmen und Institutionen umfasst, sind Beispiele für eine proaktive Haltung. Gleichzeitig zeigt eine Umfrage der Bertelsmann Stiftung, dass über 60 % der Deutschen Diversity-Maßnahmen in Unternehmen als wichtig erachten.

Doch auch hier gibt es Gegenbewegungen: Parteien, wie die AfD, aber auch die CDU/CSU sprechen sich offen gegen Diversity-Programme aus und betonen stattdessen „Leistungsgerechtigkeit“. Diese Narrative könnten im Wahlkampf 2025 an Bedeutung gewinnen und den gesellschaftlichen Diskurs weiter polarisieren.

Der wirtschaftliche Druck auf Unternehmen

Während der Pandemie und in den darauffolgenden wirtschaftlich turbulenten Zeiten haben viele Unternehmen ihre Diversity-Programme als verzichtbar angesehen. Große Firmen wie Netflix und X (ehemals Twitter) haben ihre Abteilungen für Diversity, Equity und Inclusion (DEI) drastisch reduziert oder gänzlich abgeschafft. Musk, ein lautstarker Kritiker solcher Programme, bezeichnete sie als „ideologische Geldverschwendung“ und forderte, dass DEI sterben müsse.

Beispiele von Unternehmen, die ihre Diversity-Programme eingeschränkt oder beendet haben

Diese Entwicklungen werfen ein Schlaglicht auf die Fragilität solcher Initiativen, insbesondere wenn wirtschaftlicher Druck steigt.

Die kulturelle Gegenbewegung

Es ist nicht nur die Politik, die Diversity in Frage stellt. Auch kulturell gibt es eine Gegenbewegung. Begriffe wie „Wokeness“ werden in konservativen Kreisen zunehmend als Schimpfwörter genutzt, um progressive Ideen zu diskreditieren. Diversity wird dabei oft als Symbol für eine vermeintliche überzogene politische Korrektheit dargestellt. Diese Narrative finden immer mehr Anklang – insbesondere in sozialen Medien, wo Polarisierung belohnt wird. Die Folgen sind bereits sichtbar:

  • Hassrede im Internet, vor allem gegen Frauen und marginalisierte Gruppen
  • Steigender Populismus
  • Organisation antifeministischer, transfeindlicher und LGBTQI+-feindlicher Gruppen

Was steht auf dem Spiel?

Der Verlust von Diversity-Programmen ist nicht nur ein moralisches Problem, sondern auch ein wirtschaftliches. Studien zeigen, dass vielfältige Teams innovativer sind und bessere Ergebnisse erzielen. Eine McKinsey-Analyse aus dem Jahr 2020 ergab, dass Unternehmen im obersten Quartil für ethnische und kulturelle Diversität 36 % wahrscheinlicher überdurchschnittliche Gewinne erzielten als Unternehmen im untersten Quartil.

Doch es geht nicht nur um Zahlen. Der Rückzug aus Diversity-Maßnahmen sendet eine klare Botschaft an Mitarbeiter*innen aus unterrepräsentierten Gruppen: Ihr seid nicht prioritär. Dies könnte langfristig zu einer Abwanderung von Talenten führen und die soziale Ungleichheit weiter verschärfen. In einem Einwanderungsland wie Deutschland ist dies genau das falsche Signal, welches an Menschen überall auf der Welt gesendet wird.

Was ebenso zur Wahrheit gehört

Diversity ist kein Erfolgsgarant

Auch diverse Teams können Schaden anrichten, wenn sie sich als Hüter der Moral aufspielen oder wenn sie direkt oder indirekt die besten Leute für bestimmte Positionen ausschließen, weil es keine Minderheiten sind, so Wirtschaftspsychologe Christian Fischer in 20min.ch.

Messung von Diversity-Maßnahmen – Von KPIs zu KTIs

Zusätzlich braucht es eine kritische Auseinandersetzung mit der Messung von Diversity-Maßnahmen, um diese sinnvoll mit den übergeordneten Geschäftszielen zu harmonisieren. Traditionelle KPIs (Key Performance Indicators) greifen hier oft zu kurz, da sie meist auf kurzfristige finanzielle Ergebnisse abzielen. Stattdessen könnten KTIs (Key Transformation Indicators) verwendet werden, die den Fokus auf tiefgreifende, qualitative Veränderungen legen.

Diversity-Kriterien im Recruiting

Im Bereich Recruiting könnten KTIs beispielsweise die Diversität in der Bewerberpipeline, den Anteil an unterrepräsentierten Gruppen in Führungspositionen oder die Veränderung von Einstellungsprozessen messen, etwa durch anonymisierte Bewerbungsverfahren oder die gezielte Ansprache neuer Talente aus vielfältigen Communities. Auch die Bindung und Zufriedenheit von Mitarbeitenden aus marginalisierten Gruppen könnten als Indikatoren dienen.

Diversity und Profitabilität ein Wiederspruch?

Dabei sollte jedoch klar sein: Es geht bei Diversity nicht immer um eine direkte Steigerung der Profitabilität. Vielmehr zahlt sie indirekt darauf ein, indem sie langfristig Innovationen fördert, bessere Entscheidungen ermöglicht und ein attraktiveres Arbeitsumfeld schafft, das talentierte Mitarbeitende anzieht und hält. Gleichzeitig stehen Werte wie soziale Gerechtigkeit, Chancengleichheit und die Stärkung einer inklusiven Unternehmenskultur im Mittelpunkt. Unternehmen, die Diversity ernst nehmen, leisten nicht nur einen Beitrag zu einer faireren Gesellschaft, sondern sichern sich auch eine zukunftsfähige Position in einer zunehmend diversen Welt. KTIs können helfen, diese langfristigen und oft subtilen Fortschritte messbar zu machen und Diversity-Initiativen auch unabhängig von unmittelbaren finanziellen Ergebnissen zu legitimieren.

Wie können Unternehmen dem aktuellen Trend gegensteuern?

  1. Haltung zeigen: Sich für diskriminierte und marginalisierte Gruppen einzusetzen, erfordert Mut. Diesen Mut beweisen jedoch täglich unzählige Menschen, in dem sie sich nicht wegducken, sondern sich für die Rechte sowie Freiheit Anderer einsetzen.
  2. Verankerung von Diversity in der Unternehmenskultur: Diversity sollte nicht als zusätzliches Programm, sondern als Kernwert eines Unternehmens betrachtet werden.
  3. Führungskräfte in die Pflicht nehmen: Entscheider*innen müssen verstehen, dass Diversität nicht nur ethisch, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll ist.
  4. Transparenz schaffen: Unternehmen sollten ihre Fortschritte in Bezug auf Diversity-Ziele transparent machen, um Vertrauen aufzubauen. So werden vielfältige Belegschaften und Strukturen sichtbarer.
  5. Widerstandsfähigkeit entwickeln: Diversity-Programme sollten so strukturiert sein, dass sie auch in Krisenzeiten Bestand haben. So können Budgets bereits längerfristig eingeplant werden und Positionen durch Personen mit Diversity-Hintergrund besetzt werden.

Das Engagement und die Hoffnung bleiben

Trotz der gegenwärtigen Rückschläge gibt es immer wieder Beispiele, die Mut machen. So existieren weiterhin zahlreiche Vereine, Institutionen, Organisationen, NGOs, aktivistische Gruppen und offene Zusammenschlüsse, die weiterhin für ein diskriminierungsfreies Miteinander kämpfen. Zahlreiche US-Unternehmen, wie Apple, HubSpot, Costco, e.l.f. Beauty, Cisco, Pinterest, Delta und Salesforce halten weiterhin an ihren Diversity-Initiativen fest und betonen, dass sie langfristig von diesen Programmen profitieren. Auch Bewegungen, wie „Black Lives Matter“ oder „MeToo“ haben bewiesen, dass gesellschaftlicher Druck Unternehmen und Institutionen zum Handeln auffordern kann. Diese Bewegungen haben weiterhin Bestand und stellen sich dem DE&I-feindlichen Positionen engagiert entgegen.

Ein persönliches Fazit

Es ist ernüchternd zu sehen, wie schnell Errungenschaften im Bereich Diversity zurückgenommen werden können. Als jemand, der an die Kraft von Vielfalt glaubt, empfinde ich diese Entwicklung als tief frustrierend. Doch ich sehe auch Hoffnung: Viele Menschen in Unternehmen, in der Zivilgesellschaft und in lokalen Gemeinschaften setzen sich weiterhin für diese Werte ein. Diversity und Vielfalt sind keine Auslaufmodelle – sie sind die Grundlage einer gerechteren und nachhaltigeren Zukunft.

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